"Wir sind dazu berufen, das Universum selbst als Schnittstelle zwischen Glaube und Empathie zu erkunden. Wir müssen lernen, ein authentisches Leben ungeachtet aller Irrungen zu führen. Nur in der Vervollkommnung werden wir geleitet."
Na, wie hört sich das an? Tiefgründig? Es ist selbstverständlich kompletter Unsinn. Und es ist ein Satz aus einer Studie der Psychologin Suzanne Hoogeveen, veröffentlicht in Nature Human Behaviour, zitiert von Sebastian Herrmann in der Süddeutschen Zeitung. Hoogeveen gelingt es, mit diesem und einer Reihe ähnlicher Bullshit-Sätze, den sogenannten Einstein-Effekt nachzuweisen. Dieser besagt, dass Menschen Wissenschaftlern mehr Glauben schenken als anderen Sprechern - dass es letztenlich also auf den Absender eines Inhaltes ankommt und weniger auf den Inhalt selbst, wenn es um die Glaubwürdigkeit einer Botschaft geht.
Gilt der Einstein-Effekt auch für Storytelling?
Dieser Frage gehe ich nach in einem Gastbetrag für Silvia Ettl-Hubers Sammelband "Storytelling in Journalismus, Organisations- und Marketingkommunikation". Ettl-Huber trommelt in diesem Buch Kommunikationswissenschaftler aus vier Hochschulen (Hannover, Stuttgart, Berlin und Burgenland), sowie Praktiker aus Marketing, PR und Unternehmenskommunikation zusammen um die Wirkunkweisen von Storytelling kritisch zu hinterfragen. Hier ein kleiner Auszug zum Thema: Wie glaubwürdig sind Stories?
Über die Glaubwürdigkeit
(...) Der Medienwissenschaftler Marcus Reinmuth seziert den Begriff "Glaubwürdigkeit" in seiner Dissertation über „glaubwürdige Unternehmenskommunikation“ in die beiden Teile „Glauben“ und „Würde“ und gibt damit eine treffende Beschreibung:
„>Glaubwürdigkeit< meint wörtlich, dass wir jemanden für würdig halten, ihm zu glauben. Er hat durch sein Handeln die Würde erlangt, dass seine Aussagen von uns für die Wahrheit gehalten werden. Dies impliziert, dass wir keine Möglichkeit haben, den Inhalt der Aussage tatsächlich auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Denn die Glaubwürdigkeit kommt erst dann ins Spiel, wenn wir den Aussagen einer anderen Person vertrauen müssen.“ (Reinmuth 2006) Ausgehend von dieser Definition lässt sich für die glaubwürdige Anwendung von Storytelling Folgendes ableiten: Storytelling wird nur dann als glaubwürdig wahrgenommen, wenn sich der Absender durch sein sonstiges Handeln als „würdig“ erwiesen hat, dass man ihm Glauben schenkt. (..) Stehen Kommunikation und Handeln im Einklang, wird der Sender einer Marketingstory als „würdig“ empfunden, im Glauben zu schenken. Doch bedeutet dies gleichzeitig auch, dass eine Geschichten wahr sein muss, um ihr Glauben zu schenken?
Über die Wahrheit und Wahrhaftigkeit
„Um sich in einer immer komplexer werdenden Umwelt zurechtzufinden, ist jeder von uns darauf angewiesen, Informationen über verschiedenste Sachverhalte zu erlangen, wobei er zu den meisten dieser Sachverhalte selbst keinen unmittelbaren Zugang hat. Daher muss er sich auf die Zuverlässigkeit dieser Informationen verlassen können: >Allgemein können wir sagen: Immer dann, wenn Informationen entscheidungs- oder handlungsrelevant werden, die uns nicht aus eigener Wahrnehmung bekannt sind, stellt sich prinzipiell die Frage nach deren Glaubwürdigkeit.< “ so zitiert Ute Nawratil in ihrer Abhandlung “Glaubwürdigkeit in der sozialen Kommunikation“ den Psychologen Günter Köhnken und betont dabei den engen Zusammenhang zwischen Verlässlichkeit, Wahrheit und Glaubwürdigkeit. Doch ist dieser Zusammenhang auch für Stories anwendbar? Wieviel „Wahrheit“ muss in einer Geschichte stecken, damit sie als „glaubwürdig“ empfunden wird? Dass Geschichten in einem schwierigen Verhältnis zum „Wahrheitsbegriff“ stehen, ist in Deutschland den Gebrüdern Grimm zu verdanken. Die Gründerväter der Germanistik haben mit ihren Sammelbänden der „Kinder- und Hausmärchen“, 1812 und 1815, die Form des Märchens weltberühmt gemacht. So wurde aus dem mittelhochdeutschen Wort „mære“, das einst ein neutraler Begriff für „Kunde“, „Nachricht“ oder „Bericht“ war, ein Prosatext, der in eine Welt einlädt, in der unglaubliche Dinge passieren: Tiere können sprechen (Der Wolf und die sieben Geißlein), Gegenstände verwandeln sich (Tischlein deck dich) und Menschen stehen von den Toten auf (Rotkäppchen). Umgangssprachlich wurde der Ausdruck „jemanden ein Märchen erzählen“ oder „jemanden eine Geschichte erzählen“ dadurch zum Synonym für „Lügengeschichten“, Flunkern und Täuschung. Sind also „unwahre“, verzerrende oder übertreibende Elemente ein Kriterium des Storytellings? Annika Schach, Professorin für angewandte Public Relations an der Hochschule Hannover, gibt in ihrem Buch „Storytelling und Narration in den Public Relations“ einen Überblick über die Kriterien, die einen sachlichen Bericht von einer emotionalen Geschichte unterscheiden. Beide Textgattungen bezeichnet Schach als „narrative Vertextungsmuster“, die jedoch in zahlreichen Aspekten differieren: Den entscheidenden Unterschied zwischen Bericht und Geschichte macht Schach (...) nicht am Wahrheitsgehalt fest, sondern an der Erzählperspektive. Geschichten sind subjektiv. Und somit ist auch der Wahrheitsgehalt in Geschichten ein subjektiver. Dies trifft für die Geschichte zu, die der Zeuge eines Verkehrsunfalls erzählt, sowie für einen fiktiven Roman oder auch für Storytelling im Marketing wie zum Beispiel „DamNation“ von Patagonia. Wahrheit ist daher ein fragiler Begriff im Licht subjektiver Wahrnehmung. Dies betonen auch die Philosophen des Konstruktivismus, aus deren Warte die Welt erst durch den Betrachter „konstruiert“ wird und die die Existenz einer „neutrale“ Wahrheit leugnen. (...) Geschichten, die einen so starken Eindruck hinterlassen, werden als glaubwürdig empfunden. Auch wenn sie nicht auf tatsächlich wahren Ereignissen beruhen. (...) Entscheidend für die Glaubwürdigkeit einer Geschichte ist statt dem tatsächlichen Wahrheitsgehalt, vielmehr die Haltung, mit der eine Geschichte erzählt wird. Rezipienten erwarten von Storytelling – insbesondere im Marketing – nicht Wahrheit, sondern Wahrhaftigkeit. (...)
Über Ehrlichkeit und Offenheit
Im Ethik-Regelwerk der Public Relations, dem Deutschen Kommunikationskodex von 2012, verpflichtet sich die Kommunikationsbranche: „PR- und Kommunikationsfachleute sind der Wahrhaftigkeit verpflichtet, verbreiten wissentlich keine falschen oder irreführenden Informationen oder ungeprüfte Gerüchte.“ (dprg online 2012).
Aus diesem Berufsethos heraus verbieten sich Geschichten, die absichtlich und für den Rezipienten nicht erkenntlich, Falschinformationen aufstellen und verbreiten. Story und Storyteller verlieren sofort an Glaubwürdigkeit, wenn eine falsche Geschichte nachweislich mit Vorsatz erzählt wird. Interessant ist jedoch, dass die Glaubwürdigkeit nicht leidet, wenn eine Geschichte in unwissend und in falschem Glauben erzählt wird, so Ute Nawratil: „Definiert man die Glaubwürdigkeit auf die Art, dass sie vorliegt, wenn Aussage und Sachverhalt übereinstimmen, schließt man jedoch sofort solche Aussagen aus, bei denen die Quelle schlicht einem Irrtum unterliegt. Ist die Aussage einer Person unglaubwürdig, wenn sie falsche Informationen in der Absicht weitergibt, die Wahrheit zu sagen? Vielmehr scheint es so, dass eine Falschaussage nur dann die Glaubwürdigkeit der Quelle tangiert, wenn man eine Intentionalität hinter der Aussage vermuten oder erkennen kann. Glaubwürdigkeit könnte demnach durchaus als Wahrheitsvorsatz begriffen werden bzw. als Abwesenheit einer Täuschungsabsicht.“ (Nawratil 2006) Storytelling unterliegt allen ethischen Regeln des Marketings, wie alle anderen Kommunikationstechniken und -instrumente auch.
Die Definition des Begriffes „Ehrlichkeit“ geht einher mit Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Offenheit. Und genau diese „sittlichen Eigenschaften“ gelten auch im Bezug auf den Einsatz von Geschichten im Marketing. Gefordert sind daher Transparenz und Offenheit gegenüber Kunden und Stakeholdern.
Der Einsatz einer Geschichte muss klar als Mittel zum Zweck offengelegt werden. Unternehmen und Marken, die müssen sich sichtbar als Urheber und Produzent einer Geschichte zu erkennen geben. (...)
Mehr zum Thema findest du in "Storytelling in Journalismus, Organisations- und Marketingkommunikation", herausgegeben von Silvia Ettl-Huber, Vicerektor R&I, Head of Department Business Studies and Programme Manager Human Resource Management an der FH Burgenland, Springer VS Verlag, 2017.
Photo by Bernard Hermant on Unsplash
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