Eine narrativ-systemische Prognose von Tobias Grewe und Pivi Scamperle
Wir sind mit Informationen zum Klimawandel regelrecht überflutet. Politik, Medien, Aktivisten, Konzerne und Wissenschaftler liefern uns berechtigterweise viele Informationen aus ihren jeweiligen Fachgebieten. Unternehmen werden nun vermehrt dazu aufgefordert, nachhaltiger zu handeln – oft wird diese Aufgabe der Kommunikationsabteilung übergeben, nach dem Motto "das müssen wir auch noch erledigen".
Doch auf welche Weise erreichen uns diese Informationen aus den unterschiedlichen Quellen?
Der Overload entsteht, wenn wir mit Fakten überschüttet werden, die mit ausgemalten Zukunftsszenarien und emotional aufgeladenen Appellen verbunden sind, die uns vorschreiben, was als Nächstes zu tun ist. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Erreichen uns diese Informationen über Nachhaltigkeit wirklich "nachhaltig"? Verstehen wir wirklich, was in diesem Kontext kommuniziert wird?
Neben diesem Informationsüberfluss gibt es natürlich auch eine Vielzahl von Aktivitäten: Menschen aus verschiedenen Bereichen bemühen sich kollektiv darum, unser Verhalten in der Gesellschaft zu ändern. Von schockierenden und störenden Aktionen wie dem Festkleben auf Autobahnen oder dem Besprühen bekannter Gemälde mit Flüssigkeiten bis hin zur intensiven Diskussion über den Ausstieg aus Verbrennungsmotoren. Aufgrund der Fakten, Szenarien und Erzählungen auf dieser Metaebene entsteht in unserer eigenen kleinen Welt – so wie wir es wahrnehmen – ein Handlungsvakuum. Wir erkennen nicht mehr, was wir jetzt tun können. Was kann ich persönlich tun? Dieses individuelle Vakuum erzeugt gleichzeitig ein Gefühl der kollektiven Ohnmacht: Wie können wir uns von den gewohnten Pfaden lösen, unser Verhalten ändern und neue Ideen entwickeln, wie es anders gehen kann? Wie können wir liebgewonnene Gewissheiten im Konsum ändern und so gemeinsam nachhaltige Veränderungen bewirken?
In diesem Blog-Beitrag wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, welchen Beitrag Storytelling und seine neurologisch nachgewiesene Wirkung dazu leisten kann, dass Kommunikation in Veränderungen nachhaltig wirkt und zum Handeln anregt. Lassen Sie uns einen Vergleich zu kleineren sozialen Systemen ziehen, wie zum Beispiel Unternehmen, um daraus Inspiration zu gewinnen.
Unsere These lautet:
Was für kleinere soziale Systeme in Bezug auf Veränderungen funktioniert, könnte auch für größere soziale Systeme wie unsere Gesellschaften funktionieren.
Pivi und ich begleiten internationale Organisationen bei Transformationsprozessen und den damit verbundenen Veränderungsprozessen. Um tatsächlich etwas verändern zu können, arbeiten wir systemisch-narrativ.
In Zeiten des Wandels und des Umbruchs stehen Unternehmen oft vor großen Herausforderungen. Um diesen erfolgreich zu begegnen, ist es wichtig, nicht nur systemisch, sondern auch narrativ zu arbeiten. Denn nur so können Veränderungen in der Organisation ganzheitlich betrachtet und kommuniziert werden. Dies kann dazu beitragen, vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen und neue aufzubauen. Was bedeutet das konkret?
Mit einer systemischen Herangehensweise und den bekannten Tools und Methoden der systemischen Organisationsentwicklung unterstützen wir Organisationen dabei, selbst Lösungen zu finden und begleiten sie bei der Umsetzung, soweit wie nötig. Im narrativen Kontext bedeutet dies, dass wir den Organisationen zuhören und ihnen dabei helfen, durch die Erzählung ihrer Geschichten den Kern zu finden – wie es den Menschen geht, was sie genau brauchen, welche Emotionen gerade im Unternehmen präsent sind und vor allem, was und wie kommuniziert werden sollte. Wir finden diese Informationen in den Erzählungen der Organisation. Dafür müssen wir "Zuhören". Denn Organisationen sind "erzählende Systeme". Das, was Menschen heute erleben, sind die Geschichten, die sie morgen erzählen. Darin liegt der Schatz, der zeigt, wie Werte gelebt werden, wie man miteinander umgeht, wie kommuniziert wird und was die Identität geprägt hat. Wir nennen dieses Zuhören als systemisch-narrative Organisationsentwickler "Storylistening".
Durch Storylistening identifizieren wir sämtliche Faktoren, die Einfluss auf den Veränderungsprozess haben können. Nur so können wir ein soziales System optimal unterstützen, indem wir relevante Faktoren finden und berücksichtigen. Das bedeutet, dass wir die Organisationsstruktur, die Arbeitsprozesse, die Kommunikation und die Kultur genauso betrachten wie die individuellen Perspektiven, Emotionen und Verhaltensweisen der Menschen. Diese systemisch-narrative Betrachtungsweise ermöglicht es uns, Veränderungen im größeren Zusammenhang zu sehen und zu verstehen, welche Auswirkungen sie auf die gesamte Organisation haben können.
Zudem hilft sie uns dabei zu verstehen, wie die Veränderung für das System kommuniziert und besprochen werden kann. Neurologisch betrachtet ist erwiesen, dass Veränderungen in eine Geschichte eingebettet sein müssen, damit die Menschen sie verstehen und ihnen Sinn verleihen können. Dies ermöglicht es ihnen, die Veränderung aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und gemeinsam zu verstehen, wie sich dadurch Verbesserungen ergeben können. Solche Sinn-Konstruktionen bezeichnen wir heute als Storytelling oder Narrative, die Veränderungen von einem bestimmten Ausgangspunkt beschreiben. Allerdings können wir diesen Sinn nur erfassen, wie zuvor beschrieben, wenn wir zuhören und verstehen. Mit anderen Worten: Ohne Storylistening gibt es kein Storytelling.
Es gibt zwei wesentliche Effekte von Storylistening und Storytelling:
Erstens:
Zuhören ist die „Mutter“ aller Kernkompetenzen. Wenn wir wieder zuhören, um zu verstehen, ist das die wertschätzendste Geste, die wir unserem Gegenüber entgegenbringen können. Durch Zuhören ist es möglich, die individuellen Perspektiven und Verhaltensweisen der Menschen zu berücksichtigen, was wiederum dazu beiträgt, dass sie sich wertgeschätzt fühlen.
Zweitens: Wenn wir anstehende Veränderungen als passende Geschichten für das System erzählen (Storytelling), schafft das Vertrauen, Zusammenhänge werden verstanden und Offenheit wird gefördert. Geschichten, die Sinn ergeben, können mögliche Ängste und Unsicherheiten abbauen, und es entsteht ein gemeinsames Verständnis dafür, warum die Veränderung notwendig ist und welche Vorteile sie mit sich bringt. Beide Effekte wirken sich positiv auf eine offene und wertschätzende Kultur in der Organisation aus.
Genau diese Effekte benötigen wir auch in unserer Gesellschaft.
Durch die richtige Erzählung können die Menschen in einem sozialen System verstehen, und nur durch Verstehen kann Handeln ausgelöst werden. Wenn vorhandenes Wissen und Erfahrungen einbezogen werden, können neue Kompetenzen entwickelt werden, die für die Umsetzung der Veränderung notwendig sind.
Wenn alle Beteiligten in den Veränderungsprozess eingebunden und beteiligt sind, kann dies zu einer besseren Zusammenarbeit und einem stärkeren Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Organisation führen. Durch das Zuhören fühlen sich alle gehört und wertgeschätzt, was dazu beiträgt, dass sie motivierter und engagierter bei der Umsetzung der Veränderung sind.
Indem man das Wissen und die Erfahrungen der Menschen in den Veränderungsprozess einer Organisation einbezieht, kann man ihre Expertise nutzen und die Veränderung besser und effektiver gestalten. Man kann so beispielsweise Fehler vermeiden, die bei der Umsetzung der Veränderung auftreten können. Beteiligte haben möglicherweise bereits ähnliche Veränderungen durchlebt oder besitzen Kenntnisse, die dazu beitragen können, Probleme zu identifizieren und zu lösen.
Die Pandemie war das beste narrative Pilotprojekt für unser wichtigstes kollektives Problem, den Klimawandel. Die Pandemie ist ein gutes Beispiel dafür, da alle Menschen gleichzeitig und weltweit die gleiche Erfahrung gemacht haben. Die begleitenden Maßnahmen haben uns gleichermaßen stark eingeschränkt, und wir mussten uns damit arrangieren. Diese Katastrophe hat zu einem Umdenken geführt und uns unglaublich erfinderisch gemacht. In einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit haben wir in der Isolation digitale Dialog- und Reflektionsräume geschaffen, um in Verbindung zu bleiben und uns zuzuhören. Durch gemeinsame Reflektionen in digitalen Meet-ups, Barcamps und anderen Dialogformaten ist das "Mensch-Sein" zurückgekehrt. Wir haben einander zugehört, waren empathisch, erfinderisch und haben uns Geschichten erzählt. Durch dieses Erzählen und Zuhören sind wir in Resonanz miteinander getreten, länderübergreifend. Der Effekt war, dass Ideen geteilt wurden, die geholfen haben, besser mit der Krise umzugehen. Wir wurden emotional aufgefangen, manchmal sogar von Menschen, die wir zuvor noch nie getroffen hatten.
Wir waren emotional involviert, denn die Geschichten anderer haben uns berührt, motiviert und Mut gemacht. Oft entstehen großartige Dinge erst durch Katastrophen, und die Pandemie war ein Pilotprojekt für ein viel größeres Problem, den Klimawandel. Sie sollte uns in der Gesellschaft helfen, wieder in den Dialograum zurückzufinden und einander zuzuhören, bevor ein Narrativ nach dem anderen in den Medien verkündet wird, um kurzfristige Aufmerksamkeit zu erlangen. Wir sind überzeugt, dass das, was in kleinen sozialen Systemen wie Unternehmen positiv und transformierend wirkt, auch für unsere Gesellschaften funktionieren kann. Wie bei der Pandemie stehen wir wieder vor einer Erfahrung, die zu einem gemeinsamen Erfahrungshorizont wird und uns alle betrifft: dem Klimawandel. Doch auch hier müssen "die da oben" mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass wir wieder zuhören und die Zusammenhänge in die richtigen Geschichten einbinden müssen, um eine Basis-Erzählung über realistische und positive Zukunftsszenarien zu schaffen. Nur wenn wir kollektiv verstehen und unsere gemeinsame Intuition aktivieren, können wir handeln und gemeinsam den Weg in eine positive Zukunft gestalten.
Durch das Zusammenspiel von Storylistening und Storytelling können wir in Bezug auf Nachhaltigkeit eine nachhaltige Kommunikation erreichen, die zum Handeln anregt. Indem wir den Geschichten und Erzählungen der Menschen zuhören, können wir die relevanten Faktoren identifizieren, um Veränderungen ganzheitlich zu betrachten. Dies ermöglicht es uns, Veränderungen in einen größeren Zusammenhang zu stellen und Sinn zu vermitteln. Zuhören ist die Mutter aller Kernkompetenzen und schafft Wertschätzung, während Storytelling Vertrauen aufbaut und Offenheit fördert. Indem wir die Erfahrungen und das Wissen der Menschen einbeziehen, können wir ihre Expertise nutzen und Veränderungen effektiver gestalten. Die Pandemie diente als ein narrative Pilotprojekt für den Klimawandel und zeigte uns, wie wichtig es ist, zuzuhören und sich Geschichten zu erzählen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Wir müssen wieder in den Dialograum zurückkehren, um gemeinsam eine positive Zukunft zu gestalten und nachhaltige Veränderungen zu bewirken.
Tobias Grewe ist Narrative Consultant und Organisations-Berater.
Pivi Scamperle ist Beraterin und Veränderungschoach.
Foto von David van Dijk auf Unsplash
Comentários