„800 g Mandeln, 500 g Zucker, 200 g Eiweiß, 200 g gemahlene Haselnüsse, 200 g Puderzucker, 30 g gemahlener Zimt (wenn möglich aus Vietnam), Mark von 3 Vanilleschoten, 15 g Kakaopulver, 100 g Marzipan, 150 g getrocknete Kirschen, 2 Eiweiß für die Glasur, 200 g Puderzucker, Mark von ½ Vanilleschote.“ -
Das ist das legendäre Rezept für Zimtsterne von Christian Hümbs, Chef-Pâtissier des Hotels The Dolder Grand in Zürich und Chef-Juror der Sendung Das große Backen auf Sat1.
Aber huch, was haben denn Zimtsterne mit Storytelling zu tun, werdet ihr euch jetzt fragen? Eine ganze Menge.
Denn wie bei guten Weihnachtsplätzchen, kommt es auch bei guten Geschichten auf die Zutaten an. Und alle fleißigen Weihnachtsbäckerinnen und Storyteller wissen, dass es Grundzutaten gibt, die in keinem Rezept fehlen dürfen. Bei guten Geschichten sind das vor allem fünf:
Jede gute Geschichte hat einen Grund erzählt zu werden. Geschichte sind mehr als nur die Handlung. Geschichten vermitteln eine Botschaft oder eine Moral.
Jede Geschichte braucht einen Helden oder eine Heldin. Besser gesagt eine Hauptfigur, mit der sich Zuschauer und Zuschauerin identifizieren.
Jede gute Geschichte beginnt mit einem Konflikt. Der Storytelling-Coach Robert McKee sagt: „Good Stories come from the dark side.“ Das Publikum will keine erwartbare, ausschließlich rosige Story. Viel spannender sind Schwierigkeiten, Krisen, Problemfälle. Man will miterleben, wie Herausforderungen entstehen und gemeistert werden.
Gute Geschichten gehen ans Herz. Geschichtenerzählerinnen sind Entertainer. Sie bringen ihr Publikum zum Schmunzeln und Lachen. Sie rühren zu Tränen und berühren.
Jede gute Geschichte wird weitererzählt. Viralität und Sharebility ist keine Erfindung des Internets. Die besten Geschichten werden seit tausenden von Jahren von Generation zu Generation weitergegeben.
Ein guter Grund, eine Heldin, ein Konflikt, Emotionen und Viralität - das ist also das Grundrezept einer guten Story: Unglücklicherweise ist dieses Rezept kein Geheimnis. Es wird von allen möglichen Menschen angewendet - im letzten Jahr ganz besonders von einer Gruppe: von Verschwörungstheoretikern.
Moment mal,
...werdet ihr jetzt wieder sagen, was haben Zimtsterne damit zu tun?
Verschwörungstheorien sind doch diese wirren Stories, die behaupten, dass Flugzeuge giftige Chemikalien versprühen, dass Politiker das Blut versklavter Kinder trinken und Wirtschaftseliten unschuldigen Menschen Computerchips einimpfen. Ja, diese Art der Geschichten ist gemeint. Und so süß und verführerisch Zimtsterne sind, so klebrig und süchtig-machend sind auch Verschwörungserzählung. Und das wiederum liegt an der Backanleitung dieser Geschichten.
Sollten Sie jemals in die Verlegenheit kommen, einen Verschwörungsmythos backen zu müssen, hier ist die Anleitung:
Ihr braucht ein Geheimnis. Das was Ihr zu sagen habt sollte unbekannt oder nur wenigen bekannt sein. Damit schaffen Ihr sogenannte „Insider“ – zu denen Ihr selbst gehört, weil Ihr Wissensträger seid - und „Outsider“, also „unwissende Schafe.
Dann brauchen Ihr selbstverständlich ein Komplott, angetrieben von Akteuren. Damit haben Ihr gleich auch Schuldige identifiziert, die man verantwortlich machen kann. Idealerweise entstammen diese Akteure einer Elite, die bewußt aus Niedertracht und Eigennutz agieren.
Teil Eurer Erzählung sollte auch die Behauptung sein, dass die Akteure der Verschwörung, die im Verborgenen agieren, daran beteiligt sind „offizielle“ Theorien zu stützen. Jedes Gegenargument, dass man dann gegen Eure Verschwörungserzählung vorträgt, dient wiederum als Beweis, dass Eure Erzählung richtig ist. Praktisch, oder? Ihr bestätigt euch selbst. Psychologen nennen dies „Selbstabdichtung“. Mit diesem Trick entzieht Ihr euch jeder Kritik.
Zum Schluss braucht Eure Verschwörungserzählung dann nur noch einen Schuss „Truthiness“. Ein klein wenig Wahrheit, eine leichte Prise Logik, um die noch so irrwitzige These in das zu verwandeln, was Kommunikationswissenschaftler und Psychologen „gefühlte Wahrheit“ nennen.
Fertig ist die Verschwörungserzählung.
Leicht zu backen, oder?
Verschwörungserzählungen sind eine raffinierte Mischung und es gibt „gute“ Gründe, warum es so einfach ist, sich ihrer zu bedienen und so befriedigend, an sie zu glauben: Verschwörungstheorien sind ein Instrument, um Kontrolle zurückzubekommen. Sie bieten schnelle „Lösungen“ auf komplexe Probleme. Sie sind auch ein gutes Mittel, um Macht zu erlangen, mit ihnen kann man seine Gegner diskreditieren, Schuldige benennen oder ganz einfach Schuld abschieben. Und Verschwörungsmythen helfen, um von Alltagssorgen abzulenken und den Fokus auf Dinge zu lenken, die man nicht beeinflussen kann. Sie sind unterhaltsam und befriedigen den Voyeurismus am Negativen und Skandalösen. Schließlich lassen sich mit ihnen und an ihnen ganz wunderbar Emotionen ausleben.
Gefährliche Mischung, oder?
Jetzt seid ihr gewarnt, oder? Na, das seid ihr ohnehin, sonst hättet ihr nicht bis hier gelesen. Bleibt also die Frage, was man dagegen tun kann – vor allem, was wir als Storytellerinnen dagegen tun können. Mein erster und eindringlicher Rat:
Schützt euch selbst. Denn Storyteller sind gefährdet. Sie zählen zur Risikogruppe. Irgendwie sind wir doch fasziniert von diesen abenteuerlichen Phantastereien. Von diesen Kuriositäten, die so irrsinnig sind, dass man sie einfach gerne weitererzählt - ganz nach dem Motto „Hast du gehört…? Doch Stop! Sorgt dafür, dass sich das schleichende Gift dieser fatalen Stories nicht weiterverbreitet. Stopt die Infektionskette. Das kennt Ihr von Corona. Ist aber auch eine uralte Medientrainer-Weisheit: Niemals negative Sprache wiederholen.
Mein zweiter Rat:
Werft Verwandten oder Freunden, die sich in Verschwörungserzählungen verstrickt haben, einen Rettungsring hin. Aber Vorsicht: Ihr werdet von eurem Gegenüber kein großes „Mea culpa“ hören und keine öffentliche Kehrtwende sehen. Ziel muss stattdessen sein, einfach nur kleine Zweifel säet. Helft eurem Freund oder Eurer Freundin, sich selbst langsam (raus) zu bewegen.
Erfolgreich ist hier nur ein empathischer, einfühlsamer Diskurs. Bei allen Verschwörungserzählungen sind Emotionen im Spiel. Auch wenn euer Gegenüber es nicht zugesteht, aber die meisten Verschwörungstheoretiker bedienen sich der Erzählungen, weil sie irgendwie verunsichert, irritiert, verängstigt sind. Nehmt diese Gefühle ernst und diskutiert auf Augenhöhe. Vermeidet Zynismus und Sarkasmus. Gebet Eurem Gesprächspartner keinen Anlass, sich zurückgesetzt oder missachtet zu fühlen.
Konzentriert euch auf wenige Argumente, anstatt Grundsätzliches zu diskutieren. Lassen euch nicht in Spitzfindigkeiten und Details verstricken. Viele Verschwörungstheoretiker sind geübte im Disput und in der argumentativen Verteidigung. Dabei nutzen sie auch unlautere Mittel – und verändern die Spielregeln. Sie ziehen unzusammenhängende Argumente heran und greifen auf pseudowissenschaftliche Fakten zurück.
Den besten Rat, den ich euch aber geben kann:
Erzählt selbst. Jetzt kennt ihr ja die Zutatenliste guter Stories. Erzählt bessere Geschichten. Erzählt Geschichten, die motivieren, anstatt zu irritieren. Erzählt Geschichten, die verbinden, anstatt zu spalten. Erzählt Geschichten, die Mut machen anstatt Angst zu verbreiten.
Und backt mehr Zimtsterne
Hier die ganze Backanleitung von Christian Hümbs: „Die Mandeln mit einem Teil des Zuckers und einem Teil der Eiweiße in einem Multizerkleinerer grob mixen. Alle restlichen Zutaten zur Mandelmischung geben und zu einem glatten Teig verarbeiten. Den Teig auf Backpapier etwas 1 cm dick ausrollen und 2 Stunden kaltstellen. Für die Glasur die Eiweiße aufschlagen und den Puderzucker langsam zugeben. Zum Schluss das Vanillemark unterrühren. Die Glasur auf den gekühlten Teig geben und glattstreichen. Alles 2 Stunden antrocknen lassen. Die Sterne mit einer Sternform ausstechen und auf dem mit Backpapier ausgelegten Backblech verteilen. Im auf 160°C vorgeheizten Ofen 8 – 10 Minuten backen. Anschließend auf einem Gitter auskühlen lassen.“
Zum Schluss doch noch ein Videotipp, wenn ihr mich mal live sehen wollt: Über Storytelling und die dunkle Seite des Erzählens – ein TEDx Talk von Petra Sammer.
Ich wünsche euch ein wunderbares Weihnachtsfest.
Ach und noch etwas: Die oben genannten Ratschläge stammen nicht ausschließlich von mir, sondern vor allem von weitsichtigen Wissenschaftlern und Kommunikationsprofis wie Sebastian Herrmann, Journalist und Autor des Buches „Gefühlte Wahrheit“, Katharina Nocun und Pia Lamberty, Autorinnen des Buches „Fake Fakts“, der Anthropologin Heidi Larson, die u.a. Impfgegner erforscht und der Philosophin Prof. Dr. Monika Betzler, dies sich insbesondere mit Verschwörungsmythen rund um Covid-19 beschäftigt.
Dieser Blogpost wurde erstveröffentlich im Adventskalender von Katrin Klemm.
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